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Energie ist nicht unberechenbar
Messdaten, Normen, Simulation, KI, Bauchwerte – ja was denn nun?
Ob zur Auslegung von energetischen Erzeugern oder zur intelligenten Anlagensteuerung – die Ermittlung von Energiebedarfen ist ein zentraler Bestandteil in der Energieplanung und -effizienzsteigerung. Es geht darum, den tatsächlichen Energiebedarf eines Gebäudes oder einer Anlage zu ermitteln, um darauf aufbauend die Energiebereitstellung zu optimieren oder Maßnahmen zur Energieeinsparung ergreifen zu können. Zur Ermittlung der Bedarfe gibt es unterschiedliche Ansätze und Methoden. Doch wo liegt der Unterschied und wann ist es sinnvoll welchen Ansatz zu wählen?
Messdaten aus der Vergangenheit
Eine Möglichkeit ist die Erfassung des Energieverbrauchs durch Messungen. Hierbei werden die tatsächlichen Energieverbräuche des Gebäudes über einen bestimmten Zeitraum erfasst und ausgewertet. Diese historischen Daten können anschließend als Referenz für den zukünftigen Energiebedarf herangezogen werden. Der Vorteil dieser Methode ist, dass sie den tatsächlichen Energiebedarf eines Gebäudes widerspiegelt.
Da der Energiebedarf in einer konkreten Situation (Nutzung, Fläche, äußere Einflüsse wie bspw. Temperaturen) erfasst wurde, kann der Bedarf nur mit Einschränkungen skaliert werden. Ein Übertrag in Regionen mit anderen äußeren Einflüssen sowie eine Änderung der Fläche kann zu fehlerhaften Bedarfen führen. Diese Methode ist sehr zeitaufwändig und erfordert eine Erfassung der Verbrauchsdaten über einen längeren Zeitraum. Zusätzlich müssen bei dieser Methode Investitionen (bspw- in Messgeräte) getätigt werden und es bedarf oftmals einer baulichen Veränderung zur Nachrüstung der Geräte.
Empfohlener Einsatz:
– ab Grundlagenermittlung (Leistungsphase 2 HOAI)
– Benchmarking (Vergleich mit ähnlichen Gebäuden)
– Monitoring des Gebäudes, von dem die Messdaten stammen (HOAI Leistungsphase 9 Betrieb)
Vorteile:
– Hohe Präzision durch realen Energiebedarf.
– Messzähler können auch im Betrieb verwendet werden.
Nachteile:
– Lange Vorlaufzeit zur Erfassung der Verbräuche.
– Aufbereitung der Messdaten erforderlich (Messfehler).
– Eingeschränkte Übertragbarkeit/ Skalierbarkeit.
– Investitionen & ggf. bauliche Veränderungen notwendig.
Normen und Richtlinien
Eine weitere Methode zur Ermittlung des Energiebedarfs ist die Kalkulation mithilfe von Richtlinien. Diese Methode basiert auf bestimmten Regelungen und Vorgaben, wie zum Beispiel den Energieeinsparverordnung (kurz: EnEV) in Deutschland, die den Energiebedarf von Gebäuden festlegen. Normwertbasierte Berechnungen basieren auf statistischen Daten und Annahmen über den Energiebedarf von Gebäuden ähnlicher Größe und Nutzung.
Die Kalkulation anhand von Normwerten ist in der Regel schnell einfach durchzuführen. Dazu sind keine detaillierten Kenntnisse über das Gebäude erforderlich.
Da diese Methode keine individuellen Bedingungen des Gebäudes berücksichtigen kann und insbesondere in der Regel statisch ist und sich auf extreme Auslegungssituationen bezieht, liefert sie oft zu hohe Werte. Daher kann der tatsächliche Energiebedarf stark von der überschlägigen Kalkulation abweichen.
Empfohlener Einsatz:
– Vorplanung- (HOAI Leistungsphase 2) bis Ausführungsplanung (HOAI Leistungsphase 5) bis Vorbereitung der Vergabe (HOAI Leistungsphase 6).
– Wenn Berechnung nach Norm ausdrücklich gewünscht ist.
Vorteile:
– Schnelle & einfache Kalkulation (keine detaillierten Gebäudedaten erforderlich).
– Kostengünstige Ermittlung der Bedarfe.
– Regelkonformität: Eine energetische Kalkulation mithilfe von Normen ermöglicht es, sicherzustellen, dass ein Gebäude den geltenden Energieeinsparvorschriften entspricht.
Nachteile:
– Ungenauigkeit: Da die Berechnung des Energiebedarfs auf statistischen Daten und Annahmen basiert, kann sie nicht immer den tatsächlichen Energiebedarf eines Gebäudes widerspiegeln. Außerdem liegen oft Extremsituationen (Auslegungstemperaturen) zugrunde, die in der Praxis selten oder evtl. sogar nie eintreten. Eine Überdimensionierung von 50 % ist daher keine Seltenheit.
– Limitierte Anwendbarkeit: Normwertbasierte Berechnungen sind nur für Gebäude ähnlicher Größe und Nutzung anwendbar, was es schwierig macht, den Energiebedarf von besonderen oder ungewöhnlichen Gebäuden zu berechnen.
– Unzureichende Berücksichtigung von individuellen Bedingungen: Normwertbasierte Berechnungen berücksichtigen nicht immer individuelle Bedingungen wie die Lage des Gebäudes, die Ausrichtung, die Art der Fenster und Türen, die Art der Dämmung usw.
– Unzureichende Berücksichtigung von technischen Fortschritten: Bei der Kalkulation kann technischen Fortschritt nicht immer mit berücksichtigt werden.
Es ist wichtig zu beachten, dass die energetische Kalkulation mithilfe von Normen ein wertvolles Werkzeug ist, um sicherzustellen, dass Gebäude den geltenden Energieeinsparvorschriften entsprechen, aber es hat auch seine Grenzen und es ist wichtig sie in Verbindung mit anderen Methoden zu nutzen, um ein genaueres Ergebnis zu erhalten.
Energetische Simulation
Eine weitere Methode ist die Simulation des Energiebedarfs mithilfe von speziellen Simulationstools. Hierbei wird ein digitales Modell des Gebäudes erstellt und unter verschiedenen Bedingungen simuliert. Dabei wird darauf geachtet, die Physik möglichst präzise abzubilden. Der Vorteil dieser Methode ist, dass sie sehr genaue Ergebnisse liefert und es ermöglicht, den Energiebedarf unter verschiedenen Szenarien zu simulieren. Energetische Simulationen können zudem in einem weiteren Schritt verwendet werden, um die Leistung von Energiesystemen wie Solarkollektoren oder Wärmepumpen zu bewerten.
Ein Nachteil von energetischen Simulationen ist, dass sie in der Regel sehr aufwendig sind und ein hohes Maß an Fachwissen erfordern. Es müssen oft sehr detaillierte Modelle erstellt werden, die alle relevanten physikalischen und thermischen Prozesse berücksichtigen. Dies erfordert in der Regel eine gründliche Kenntnis der Gebäude- und Energietechnik sowie spezielle Software und Hardware. Energetische Simulationen sind nicht für frühe Projektphasen mit hoher Dynamik und dem Wunsch nach einer Planung in Varianten geeignet.
In späteren Projektphasen mit erhöhter Datenlage können Simulationen allerdings vorher getroffene Entscheidungen absichern, zusätzliche Energieeffizienzpotenziale identifizieren und wertvolle Hinweise zum Betrieb geben.
Empfohlener Einsatz:
– frühestens ab Ausführungsplanung (Leistungsphase 5 HOAI)
Vorteile:
– Hohe Präzision, daher zur Absicherung vorheriger Entscheidungen geeignet.
– Optimierung der Energieeffizienz: Energetische Simulationen ermöglichen es, das energetische Verhalten von Gebäuden oder Energiesystemen präzise darzustellen, so dass zusätzliche Effizienzpotenziale sowie Kosteneinsparpotenziale identifiziert werden können.
– Punktgenaue Planung von Energiesystemen: Mithilfe von energetischen Simulationen können Energiesysteme möglichst exakt dimensioniert werden.
– Hinweise zum Betriebsverhalten und Ermittlung der Betriebsstrategie.
Nachteile:
– Hohes Fachwissen erforderlich.
– Hoher Aufwand: Der Aufbau und die Durchführung von energetischen Simulationen erfordern ein hohes Maß an Fachwissen und Ressourcen.
– Abhängigkeit von Daten: Energetische Simulationen sind nur so gut wie die Daten, auf denen sie basieren. Fehlerhafte oder unvollständige Daten können zu ungenauen Ergebnissen führen.
– Schwierigkeit bei der Interpretation: Energetische Simulationen liefern oft sehr detaillierte Ergebnisse, die für den Nutzer schwer zu interpretieren sein können.
Algorithmen und künstliche Intelligenz
Algorithmenbasierte Energieprognosen nutzen oftmals künstliche Intelligenz oder ähnliche numerische Verfahren, um die zukünftige Nachfrage nach Energie sehr genau vorherzusagen. Der größte Vorteil einer Energieprognose mithilfe von künstlicher Intelligenz ist es, dass man bereits mit wenigen Eingaben und ohne große Rechenzeit sehr präzise Ergebnisse erzielen kann. Diese Prognosen basieren auf historischen (Messdaten) oder synthetischen Daten (Simulationsdaten), wie zum Beispiel dem Verbrauch von Strom, Gas oder Wärme. In Kombination mit weiteren Faktoren, wie Bausubstanz, grobe Bauteildaten (Wärmedurchgangskoeffizienten Gebäudehülle, Fensterarten, Dämmung etc.), Nutzungsverhalten, Wetterbedingungen etc., werden sehr gute Prognosen möglich.
Bei zunehmender Detaillierung der Gebäude, hat dies unmittelbar einen positiven Effekt auf die Güte der Prognose. Diese Algorithmen müssen vor dem Einsatz in konkreten Projekten allerdings trainiert werden. (Trainingsphase) Dies erfordert einen hohen Vorbereitungsgrad und eine breite Datenlage. In der Anwendungsphase, also wenn die KI fertig trainiert ist, stehen die Prognosen hingegen in der Regel auf Knopfdruck zur Verfügung.
Empfohlener Einsatz:
– ab Vorplanung (Leistungsphase 2 HOAI) bis Genehmigungsplanung (Leistungsphase 4 HOAI)
– in der Objektbetreuung (Leistungsphase 9 HOAI)
Vorteile:
– Sehr genaue Prognosen: KI-basierte Energieprognosen können aufgrund ihrer Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu erkennen und zu lernen, genauere Prognosen liefern als traditionelle Methoden.
– Automatisierung: KI-Systeme können automatisch lernen und sich anpassen, was Zeit und Ressourcen spart.
– Varianten & Szenarien können aufgrund der geringen Rechenzeit zur Prognose problemlos durchgespielt werden.
– Skalierbarkeit: KI-Systeme können große Mengen an Daten verarbeiten, was es ermöglicht, Prognosen für große Regionen oder sogar das gesamte Stromnetz zu erstellen.
Nachteile:
– Hoher Aufwand vor Nutzung der Algorithmen: Der Aufbau und die Wartung eines KI-Systems erfordern ein hohes Maß an Fachwissen und Ressourcen.
– Abhängigkeit von Daten: KI-basierte Energieprognosen sind nur so gut wie die Daten, auf denen sie basieren. Fehlerhafte oder unvollständige Daten können zu ungenauen Prognosen führen.
– Schwierigkeit bei der Interpretation: KI-Systeme basieren auf der Abbildung sehr komplexer Zusammenhänge, die für den Nutzer nicht einsehbar sind. (sog. „Blackbox Problem“) Auch wenn die KI in der Regel sehr gute Ergebnisse liefert, kann dies die Ursachenerforschung bei „überraschenden“ Ergebnissen erheblich erschweren.
Fazit
Es gibt verschiedene Methoden zur Ermittlung des Energiebedarfs. Unserer Meinung nach haben alle Ansätze ihre Daseinsberechtigung, da sie unterschiedliche Vorteile und Nachteile besitzen. Die Wahl der Methode hängt von den Anforderungen und Zielen des Projekts ab.
Auch im Projektkontext gilt es zu beachten: Keine Methode stellt die einzig wahre Lösung dar. Vielmehr gilt es die Stärken der einzelnen Ansätze nach Bedarf zu kombinieren, um die besten Ergebnisse zu erhalten.
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